Wie pflanzliche Proteine die Ernährung revolutionieren
Growth Alliance Networking Summit (GANS) - Keynote Teil 1
DATUM
Oct 24, 2024
AUTHORIN
My-Linh Pham
KATEGORIE
News
Ideen säen, Learnings ernten und das Netzwerk aufblühen lassen! Das konnten am 20. Juni im Frankfurter Kunstverein Familie Montez Gründer:innen und Praxisexpert:innen aus der AgriFood-Branche sowie Vertreter:innen aus Finanzwirtschaft, Forschung, Politik und Medien. Bei der zweiten GANS-Auflage wurden spannende Perspektiven auf „Pflanzliche Proteine“, „Kreislaufwirtschaft“, „Biodiversität“ und „Next Gen AgriFood“ geboten. Aha-Momente zum ersten Schwerpunkt lieferten eine Molkerei, die ihr Sortiment pflanzlicher ausrichten will, das Start-up Neggst, das vegane Eier herstellt, und ein Panel, das die heimische Wertschöpfungskette in den Blick nahm.
Was FoodTech-Start-ups und ökologische Vorreiter:innen einst initiierten, ist mittlerweile auch bei traditionellen Produzent:innen angekommen und boomt: tierfreie Alternativen zu Fleisch-, Milch-, Eier- und Fischprodukten. Trotz des heimischen Marktwachstums stammen viele der Ausgangsstoffe für diese Produkte aus dem Ausland – bedingt durch bessere Verfügbarkeit, Qualität und niedrigere Kosten.
Eine der zentralen Fragen beim GANS lautete daher: Wie viel Potenzial steckt im Geschäft mit heimischen pflanzlichen Proteinen und welche Hürden gilt es zu überwinden? Zu diesen und weiteren Themen rund um die Gewinnung, Verarbeitung und die Marktchancen pflanzlicher Proteine äußerten sich auf der Bühne Dr. Christian Trgo von Bauer, Neggst-Gründerin Dr. Verónica García-Arteaga sowie in einem Panel Isabella Krause von der Regionalwert AG, Leonard van Uelft vom Gut Edlau, Kristal Golan von BayWa Ventures und Linda Homann von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Durch das Event führte Maja Mogwitz, Host des Podcasts „Jung & Landwirtin“.
Einen inhaltlichen Vorgeschmack bieten diese drei Insights:
Ersatzprodukte immer beliebter: Auf pflanzlichen Proteinen basierende Alternativprodukte sind in der Akzeptanz bei den Konsument:innen inzwischen auf Augenhöhe mit Bio-Produkten und haben damit die Nische verlassen.
Molkereien müssen umdenken: Die Zahl der Milchbauern und -bäuerinnen wird in den kommenden Jahren zurückgehen. Zudem beträgt der Umsatzmarktanteil von pflanzlichen Alternativen bei Milch hierzulande bereits 14,4 Prozent. Der Aufbau von Know-how zu pflanzlichen Proteinen ist daher für Molkereien keine Kür, sondern eine Pflicht.
Bemerkenswerte Zahl: Von allen Vögeln, die auf der Erde leben, sind 70 Prozent Zuchthühner und andere Nutzvögel. Vegane Eier können helfen, diesen Wert zu senken und tierfreundlicher sowie ressourcenschonender zu agieren. Das Start-up Neggst ist hier ein Pionier – es stellt Eier aus Ackerbohnen, Süßkartoffeln und Schwefelsalz her.
Bauer-Keynote: Pflanzliche Proteine in der Molkereiindustrie – Gegenwart und Zukunft
Als erster Speaker betritt Dr. Christian Trgo, Direktor R&D und Innovation bei der J. Bauer GmbH & Co., die Bühne. Er zeigt auf, dass der Markt für pflanzliche Milchprodukte stetig wächst: Der Umsatz mit pflanzenbasierter Milch stieg in Europa zwischen 2020 und 2022 um 19 Prozent auf über 2 Milliarden Euro an. In Deutschland beträgt der Marktanteil pflanzlicher Alternativen bei Milch 14,4 Prozent des Gesamtumsatzes, bei Joghurt 6,2 Prozent. „Neben den Umsatzpotenzialen sind die abnehmende Zahl an Milchbauern und die wachsende Bedeutung von Nachhaltigkeit Gründe für Molkereien, sich in diesem Segment stärker zu engagieren“, so Trgo.
Er betont, dass Hülsenfrüchte wie Sojabohnen, Ackerbohnen und Kichererbsen vielversprechende Proteinlieferanten seien: „Leguminosen haben Eiweißgehalte zwischen 20 und 35 Prozent und erfüllen die technologischen, sensorischen und ernährungsphysiologischen Anforderungen an Milch gut.“ Sie zu verarbeiten, sei jedoch eine Herausforderung: „Die wenigsten Molkereien bewältigen derzeit den gesamten Prozess vom Reinigen über das Zerkleinern bis zur Dekantierung. Um lange Lieferketten perspektivisch zu vermeiden, sind technologische Investitionen und der Aufbau von Know-how notwendig.“
Ein wichtiges Thema sei außerdem die Lebensmittelsicherheit. „Die Kontrollen sind bei pflanzlichen Rohstoffen komplex. Leguminosen müssen auf Pestizide, Mykotoxine und Antinährstoffe hin untersucht werden. Hier müssen Molkereien ebenso Wissen aufbauen.“ Trgo blickt dennoch positiv in die Zukunft: „Gelingt es den Molkereien, die beschriebenen Maßnahmen umzusetzen und geschmacklich sowie preislich weitere Fortschritte bei pflanzlichen Alternativen zu erzielen, werden sie die Konsumenten nachhaltig überzeugen.“
Start-up-Pitch: Wie Neggst bei veganen Eiern Pionierarbeit leistet
Weiter geht es mit Dr. Verónica García-Arteaga, Co-Founderin des Berliner Start-ups Neggst, die einen Vortrag über die Herstellung veganer Eier hält. Für deren Entwicklung nutzt das Neggst-Team Zutaten wie Süßkartoffeln, Ackerbohnen und Schwefelsalz. „Niemand muss mit unserer ressourcenschonenden, tierfreundlichen und allergenfreien Alternative auf seine geliebten Eier verzichten. Angesichts der Tatsache, dass 70 Prozent der Vögel weltweit Nutztiere in der Geflügelindustrie sind, ist der Bedarf nach tierfreundlicheren Ersatzprodukten offensichtlich“, sagt García-Arteaga.
Anschließend gibt sie einen Überblick über den Markt für Produkte mit pflanzlichen Proteinen: „Der Verbrauch wird nach einer Analyse der Boston Consulting Group bis 2035 global auf 69 Millionen Tonnen ansteigen.“ Optimistisch stimme sie der zunehmende Anbau von Hülsenfrüchten in Deutschland, denn dieser fördere die Bodenfruchtbarkeit und reduziere den Düngemittelbedarf. „Zudem erhalten Bienen wertvolle Nahrungsquellen und die Regenwurmpopulation steigt an.“
Gründerin kommt zurück auf ihr Start-up und erläutert eine besondere Herausforderung bei der Nutzung pflanzlicher Proteine für alternative Eier: „Der konventionelle Extraktionsprozess für pflanzliche Proteine führt zu instabilen Schaumstrukturen und Emulsionszerfall, was sich nachteilig auf Textur und Optik auswirkt. Eine Alternative bietet ein schonender Extraktionsprozess, der stabile Schaumstrukturen und Emulsionen sowie homogene, feste Gele erzeugt.“ Laut García-Arteaga sollten innovative Methoden wie diese schneller aus der Forschung in die Praxis überführt werden, um pflanzliche Proteine besser nutzbar zu machen.
Panel-Diskussion: Pflanzliche Proteinquellen Made in Germany? Ein Blick auf die heimische Wertschöpfungskette
Beim abschließenden Panel steht die heimische Wertschöpfungskette im Mittelpunkt. Isabella Krause, Wertschöpfungsketten-Entwicklerin für Kichererbsen bei der Regionalwert AG Berlin-Brandenburg, erkennt eine wachsende Akzeptanz für pflanzliche Proteine bei den Konsument:innen: „Produkte auf pflanzlicher Basis sind keine Nische mehr, sondern stehen auf Augenhöhe mit Bio-Produkten.“ Allerdings müssten die Beschaffungsprozesse optimiert werden: „Lokale Erzeuger:innen und Produzent:innen müssen mehr an einem Strang ziehen und flexibler agieren, um stabile Wertschöpfungsketten und damit ein Gegengewicht zu Importen zu schaffen.“
Leonard van Uelft, Betriebsleiter des Guts Edlau, richtet den Fokus auf die Lage der Erzeuger:innen: „Wir müssen 15 Monate im Voraus planen, um angemessen auf neue Nachfrage reagieren zu können. Entsprechend benötigen wir klare Signale und Aussagen seitens der verarbeitenden Industrie hinsichtlich der Menge und Qualität der benötigten Rohstoffe.“ Laut Kristal Golan, Geschäftsführerin der BayWa Venture GmbH, braucht es daneben neue Technologien wie Präzisionsfermentation und Zellkultivierung, um der steigenden Nachfrage nach hochwertigen pflanzlichen Proteinen professionell zu begegnen.
Politische Aspekte spricht Linda Homann an, Referatsleiterin für Eiweißpflanzen, biologische Vielfalt & Humus bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung: „Die Planetary Health Diet empfiehlt den Verzehr von 500 Gramm Leguminosen pro Woche, in Deutschland erreichen wir aber nur 40 Gramm. Wir wollen daher die Öffentlichkeit besser über die Vorteile pflanzlicher Proteine aufklären und gleichzeitig weitere finanzielle Förderung bereitstellen.“
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„Ich fand es großartig, beim GANS viele verschiedene Perspektiven zu erleben. Das zeigt einmal mehr, dass die Landwirtschaft ein komplexes Gesamtsystem ist, in dem viele Prozesse miteinander verknüpft sind. Besonders interessant fand ich das erste Thema: die Nutzung pflanzlicher Proteine als Alternative zu tierischen Proteinen. Der Einblick in die Herausforderungen der Prozesse bis zur Marktreife und die Möglichkeiten, diese Prozesse effizient zu gestalten, war sehr aufschlussreich. Überrascht hat mich, wie groß der Markt für pflanzliche Proteine auch im Molkereisektor ist und dass die Privatmolkerei Bauer einen so deutlichen Wandel vollziehen möchte.“
Frieder Matter, CTO, Prefiro
Über den Growth Alliance Networking Summit
Im Jahr 2023 startete das Event als Bestandteil der Growth Alliance, einer gemeinsamen Initiative von Rentenbank und TechQuartier im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Ziel der Growth Alliance ist es, in Zeiten des klimatischen, ökologischen und gesellschaftlichen Wandels die Innovationskraft der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft zu stärken. Hierzu werden Gründer:innen zur Weiterentwicklung ihrer Geschäftsmodelle mit Expert:innen aus Wirtschaft und Wissenschaft, Investor:innen und weiteren relevanten Akteur:innen zusammengebracht.
Neben Vorträgen, Start-up-Pitches und Panels zu den Themen „Pflanzliche Proteine“, „Kreislaufwirtschaft“, „Biodiversität“ und „Next Gen AgriFood“ erlebten die Gäste des GANS 2024 auch Reverse-Pitches, bei denen Investoren ihr Profil und ihre Förderschwerpunkte vorstellten. Zudem fand das Finale mit Preisverleihung zum begleitenden Start-up-Boot-Camp der Growth Alliance statt.